review – Sarah Lesch

Kellinghusen – Nanu, wer ist denn das?, fragte ich mich, als ich den neuen Spielplan von „PEP“ erhielt. Ehrlich gesagt konnte mit der angekündigten Interpretin dieses Abends zuerst gar nicht so viel anfangen. Zu Liedermacherin Sarah Lesch musste ich mir erst einmal etwas aneignen, um zu sehen, um wen es sich dabei überhaupt handelte.

Allerdings war die Auswahl des Genres für diesen Abend ganz unabhängig davon nicht sehr verwunderlich, denn die gute alte Tradition der Singer/Songwriter oder Liedermacher wird bei „PEP“ schon von Anfang an gepflegt und hoch gehalten.

Immer wieder standen sie da in der Tradition von Wolf Biermann (Deutsch) oder Bob Dylan (Englisch) auf der Bühne, ob solo oder mit Band, ob etablierter, bekannter Star oder hoffnungsvoller Newcomer.

Und sorgten für schöne Konzerte und kleine Skandale, für höflichen Applaus oder große Begeisterung. Sie haben ihr Publikum mal überzeugt und mal auch weniger – aber immer ihre Wirkung entfaltet und für Gesprächsthemen gesorgt, sei es durch ihre Musik oder ihre Texte oder durch ihr Auftreten – oder alles zusammen.

Ob Paul Millns oder Kieran Goss, ob Abi Wallenstein oder Gunter Gabriel, ob Inga Rumpf oder Ulla Meinecke – ihre Art des Auftritts entfaltete ihre Wirkung vor allem deswegen, weil sie sich „alleine“ auf die Bühne trauen und mit nichts als ihrem Namen ihre Musik zum Besten geben, selbst wenn sie mit Band dort oben stehen. Und als Lieder-Macher meist auch etwas zu sagen haben.

Oft geht es dabei ums Leben oder Über-Leben, manchmal ums Lieben, fast nie ums Labern, sondern fast immer um Gehaltvolles, das zum Nachdenken anregt. Nach Klezmer-, Blues-, Rock- und Country-Konzerten hat „Pep“ damit in diesem Jahr sein Programm um eine Abwechslung angereichert. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für ein Sommerkonzert.

Sarah Lesch (37) zählt nun laut Ankündigung zu den „wichtigsten Interpretinnen der neuen deutschen Liedermacherszene“, und eines stellte ich schon beim Hinein-Hören in einigen ihrer Songs fest: Man muss genauer hinhören, denn sie erzählt in ihren Liedern vor allem Geschichten und beobachtet den Alltag und die Welt aus ihrer Perspektive, stilistisch in einer Art melodiösem Erzählgesang, der durch die Melodik aber eher zum Musik-Gesang und von der Instrumentierung ihrer Band gekonnt begleitet wird.

Da das früher bei vielen anderen Liedermachern eher umgekehrt war und die Musik nur begleitendes Beiwerk für die eigentliche Aussage war, ist das ungewöhnlich. Es kommt aber mit ihren schicken Melodien den Hörgewohnheit modernen Publikums entgegen und lässt auch einen Spannungsbogen nicht vermissen.

Vor allem, dass sie auf Deutsch singt, macht ihre Inhalte für ein einheimisches Publikum leicht verständlich, und man muss nicht entweder genuscheltes Englisch entzerren oder sich vorher die Texte zu Hause ansehen, um zu verstehen, was gemeint ist.

Spielte und sprach in Kellinghusen gemeinsam mit ihrer Band in der Ulmenhofschule: Sarah Lesch.
Fotos: Ludger Hinz

Das kommt beim Publikum im allgemeinen gut an. Nach einer erfolgreichen Tour im vergangenen Jahr spielt die Interpretin auch in diesem wieder einige Konzerte – und nun dieses auch in Kellinghusen.

So reiste die Singer/Songwriterin mit ihren nun fünf Alben und zahlreichen Auszeichnungen im Gepäck an, und man durfte gespannt sein, wie sich das dann live vor Ort in der Ulmenhofschule umsetzen ließ. So etwas wie Auszeichnungen lassen die Spannung immer vorher steigen.

Bei einem Blick in ihre Biografie ließ sich feststellen: Musik zieht sich durch ihr Leben. Aus dem thüringischen Altenburg stammend, ist ihr Vater (Ralf Kruse) ein Leipziger Musiker. In Baden-Württemberg aufgewachsen, schrieb sie Musik für Kindertheaterstücke, arbeitete von 2009 bis 2013 als Erzieherin in Tübingen. Die Mutter eines Sohnes lebt seit Ende 2015 in Leipzig und ist seither vorwiegend als Musikerin tätig.

Ihr Debütalbum „Lieder aus der schmutzigen Küche“ (2012) hat sie noch in Eigenregie unter dem Alias „Chansonedde“ aufgenommen (2016 auch als CD). Ab dann folgten in schöner Regelmäßigkeit die weiteren Alben. Ihrem zweiten Studioalbum „Von Musen und Matrosen“ (2015) folgte 2017 das dritte „Da Draussen“ und 2019 „Den Einsamen zum Troste“, eine EP. 2020 kam das vierte Album „Der Einsamkeit zum Trotze“ und 2021 das aktuelle „Triggerwarnung“ heraus, aus dem auch ein Großteil ihres aktuellen Programms stammt. Die Albentitel lassen zumindest einen gewissen Humor schon mal nicht außen vor.

Zunächst etwas ungewöhnlich das Ambiente an diesem Hochsommerabend in Kellinghusen. Im Herbst und Winter, wenn die Dunkelheit um 20 Uhr schon lange in alle Gebäude gekrochen ist und dann im Saal auch noch das Licht ausgeht, fällt die Konzentration leicht auf das Geschehen auf der Bühne, das ohne Ablenkung durch die Umgebung nicht schwer ist.

Die Gedanken fliegen dann mit der Musik in die Dunkelheit hinaus, der Entfaltung der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, man kann dem Gehörten leicht folgen und ist innerlich sowie äußerlich auch bereit dazu und schnell in Stimmung.

An diesem Abend war das aber etwas anders. Da war es so kurz vor der Sommersonnenwende sogar während des ganzen Konzertes noch taghell, teilweise fielen sogar ein paar Sonnenstrahlen in das Rund des Ulmenhofschulsaals. Die Besucher in luftiger Sommerbekleidung. Das schaffte eine ganz neue Atmosphäre.

Plötzlich lag das Gebotene ungedimmt da, schwirrten die Liedzeilen hell und klar durch den Raum, man sah nicht nur die Band, sondern auch seine Vorderleute noch klar und deutlich vor sich. Das erzeugt eine ganz andere Form der Aufnahme des Gebotenen, das auch aktuelle Eindrücke in die eigene Rezeption mit aufnimmt. Und eröffnete den Zuhörern einen unverstellten Blick auf den gebotenen Vortrag.

Auch das Publikum war in weiten Teilen ein Neues, manche waren dem Namen der Musikerin auch aus größerer Entfernung gefolgt, einige kamen sogar aus Kiel nach Kellinghusen. Gerade für sie bot der Abend etwas ganz Neues, waren sie doch weder mit der Location, noch mit den Gepflogenheiten oder den Leuten vertraut.

Nun bestand die Schwierigkeit darin, die Aufmerksamkeit trotz der Umgebung auf sich zu lenken. Würde die Sängerin das schaffen? Und wie schnell? Und wie gut? Da bediente sie sich eines Kniffs, der auch hier gut funktionierte.

Wenn das Geschehen gerade etwas zäh läuft, wenn die Zuhörer noch nicht auf ihrem Platz sind, vielleicht noch Stimmengewirr zu hören ist, wenn sie abgelenkt sind oder sich gar noch untereinander unterhalten – dann hilft fast immer eines: die direkte Ansprache.

Und so fing Sarah Lesch an, bevor sie überhaupt richtig los legte, erst einmal zu erzählen. Über ihre Motivation, ihr Empfinden, da zu sein, über den Auftritt, den Abend, das Ambiente, über die Umgebung und den Weg, über das Drumherum, ihre Vorbilder, ihre Geschichte – und so weiter. Auch keine schlechte Idee. Denn dadurch war das Publikum nun aufmerksam, fokussiert – und gespannt, was denn da nun auf das Erzählte an Musikalischem folgen würde.

Durch die recht differenzierte Ausleuchtung der Bühne und dann vor allem durch die Ausleuchtung ihrer Musik und Songs schaffte es die Sängerin im Anschluss, eine Atmosphäre zu kreieren, in der sich die Zuhörer schon nach kurzer Zeit auf sie einlassen konnten.

Ihre Songs mit deutschen Texten blicken auf die Welt aus einer Perspektive, die nah am Geschehen ist, und behandeln damit „das Große im Kleinen“, wie es in der Ankündigung schon hieß. In ihren Titeln scheut die Sängerin auch nicht vor unbequemen Themen zurück und so fällt in ihren Liedern nicht selten – wie es ebenso angekündigt wurde – die „Grenze zwischen Unterhaltung und Haltung“, wenn sie umfassend die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Themen dieser Zeit besingt. Früher oder später mussten sich die Zuhörer damit auseinander setzen und selbst zu eine Urteil kommen.

Orte des Geschehens sind Autobahnrastplätze, schmutzige Küchentische oder schummrige Kneipen – auch eine Form der Sozialkritik: dahin gehen, wo es weh tut. Das Gesungene hat sie auch im weiteren Verlaufe des Konzerts mit viel Gesagtem umschlossen, zu jedem Song fiel ihr eine passende Geschichte ein.

Sarah Lesch & Band (von links): vor dem Konzert, Publikum, nach dem Konzert.
Fotos: Ludger Hinz

Ein Kritikpunkt wäre hier dennoch angebracht: Die Ansagen waren tatsächlich etwas sehr lang und sehr ausführlich, dauerten teilweise länger als der folgende Song! Das hätte in dieser Ausführlichkeit nicht unbedingt sein müssen. Da wäre etwas Weniger tatsächlich auch etwas mehr gewesen, vielleicht sogar ein oder zwei Songs…

Im immer noch vorhandenen Licht des ausgehenden Tages besehen, meinte Oliver Zantow hinterher dennoch: „Das war doch ein Wahnsinns-Konzert“, wobei er „wahnsinnig gut“ meinte.

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