review – Anne Haigis

Kellinghusen – Zwei Liedermacherinnen innerhalb von vier Wochen – ist das nicht ein bisschen viel auf einmal?, dachte ich im ersten Augenblick, als sich nach Sarah Lesch nur einen Monat später Altmeisterin Anne Haigis bei „PEP“ in Kellinghusen die Ehre gab.

Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf: eine deutsche Liedermacherin und eine internationale Singer/Songwriterin gleich nacheinander? Da liegt ein kleiner Vergleich der beiden doch geradezu in der Luft!

Obwohl man sie eigentlich gar nicht vergleichen kann – zu selbst- und eigenständig agieren sie in ihrem jeweiligen Spektrum –, so bewegen sich dennoch im gleichen oder einen ähnlichen Genre und brauchen das Ziehen von gewissen Parallelen auch nicht zu scheuen.

Nachdem sich die junge deutsche Liedermacherin Sarah Lesch zuletzt bei „PEP“ in einem furiosen Konzert vorstellte, stand nun mit Anne Haigis ein Klassiker auf der Bühne der Ulmenhofschule.

Schöner Sommertag, schönes Konzert draußen im Pausenhof der Ulmenhofschule gab sich Altmeisterin und Singer/Songwriterin Anne Haigis wieder einmal die Ehre.
Foto: Ludger Hintz

War es vier Wochen zuvor noch die Newcomerin, die sich trotz ihrer jüngsten Beliebtheit ihr Publikum erst einmal erspielen musste und die neben ihren gesanglichen Qualitäten auch eine Menge Redebedarf hatte, so stand mit Anne Haigis (68) nun eine Altmeisterin dort, die die 80er Jahre noch selber musikalisch mit gestaltete und sich nun nicht mehr groß erklären musste.

Der Vorsitzende Oliver Zantow erinnerte zuvor daran, dass er sie schon vor drei Jahrzehnten gemeinsam mit „BAP“ in Hamburg selbst live erlebte und dies damals der Auslöser war, sie nach Kellinghusen zu holen.

Mittlerweile hat sie bereits mehrfach auf der „Pep”-Bühne gestanden, obwohl sich spontan keiner mehr daran erinnern konnte, wann das genau war und wann sie zuletzt da war. Es lagen wohl doch noch einige Jahre dazwischen.

Und während Sarah Lesch mit ganzer Band anrückte, stand die Altmeisterin nun alleine auf der Bühne, nur mit ihrer Gitarre – und mischte sich auch noch selber den Ton über ein Mischpult ab, das gleich neben ihrem Hocker in Griffweite auf einem umgedrehten Kasten Bier aufgestellt war. Old School in jeder Hinsicht.

So schien die Rückkehr der Liederrmacherin mit der markanten Stimme in die Störstadt jetzt nach dieser längeren Zeit auch ein wenig wie ein Homecoming zu sein: die Begrüßung herzlich, der Umgang freundschaftlich, der Ablauf routiniert, der Ton mit dem Publikum selbst nach der langen Zeit vertraut.

Trotz oder wegen des guten Wetters waren mehr als 70 Zuschauer gekommen – ein guter Wert, bedenkt man, dass eigentlich bestes Draußensitz- und Grillwetter herrschten, die viele aus ihrem Gartenstuhl wohl nicht mehr aufstehen ließen.

Auf ihrer Tournee unter dem Titel ihres aktuellen Albums „Carry on – Songs für immer“ präsentierte Anne Haigis nun einen Ritt durch ihr musikalisches Leben, das sie bereits seit 40 Jahren gemäß ihres jetzigen Programms „on stage“ verbrachte.

Und nicht nur dass je nach Sichtweise ihr Stern oder die Sonne mit ihr aufging – weil es ein so schöner Sommertag war, verlegte „Pep“ sein Konzert aus der Aula der Ulmenhofschule kurzerhand nach draußen in den Pausenhof selbiger. Dort herrschte nun Open Air Atmosphäre.

Mit grauem Cappy über ihrer rötlich-braunen Lockenmähne, einem seidigen Oberteil und die Gitarre locker auf dem Schenkel liegend, begrüßte sie ihre Zuhörer. Vor ihr auf dem Schulhof, aber auch auf einem leicht ansteigenden Hügel in lockeren Reihen wie in einem Amphitheater saßen ihre Zuhörer.

Hier brachte sie ihr ganz spezielles Programm zu Gehör. Besser zu verstehen ist ihre Musik, führt man sich noch einmal ihren Werdegang vor Augen: Ursprünglich aus Rottweil stammend, war Anne Haigis seit jeher vom „Kleinstadt-Blues“ getrieben , der sie vom tiefsten Schwarzwald letztlich bis hin nach Los Angeles und Nashville und damit in die große weite Welt der Rockmusik brachte.

Entdeckt vom Jazzpianisten Wolfgang Dauner, mit dem sie auch über längere Zeit liiert war, schwenkte sie nach jazzorientierten Alben mit englischen Texten Anfang der 1980er Jahre um auf deutschsprachige Songs, mit denen sie unter anderem in Fernsehshows auftrat und ihre kommerziell erfolgreichste Phase einleitete. So gesehen auch eine Parallele zu Sarah Lesch, obwohl diese erst in Deutschland zu einiger Popularität gelangt ist.

Zu Haigis‘ Weggefährten seit den 90er Jahren gehören renommierte Musiker, mit denen sie gemeinsam auf der Bühne stand, wie etwa Melissa Etheridge, Eric Burdon, Nils Lofgren, Tony Carey, Edo Zanki, Wolf Maahn und die „Harlem Gospel Singers“.

In ihrem aus diesen Einflüssen resultierenden Repertoire schlägt die Liedermacherin Brücken vom US-Southern Rock über den Blues bis hin zu Gospel & Folk-Genres, mit denen Anne Haigis sich tief verwurzelt fühlt. Ihre Lieder sind verbunden mit einschneidenden Erlebnissen und persönlichen Begegnungen. Nun reiste sie mit dem Repertoire aus insgesamt 15 Studio- und Live-Alben sowie unzähligen Solo- und Gemeinschaftsprojekten an und brachte daraus eine eher ungewöhnliche Auswahl.

Beim Song von Jason Mraz „Life is wonderful“ war es ihr auch wichtig, dass das Publikum mitsang, und das tat es auch – zumindest teilweise: „Das Testosteron springt über“, kommentierte sie, dass sie überwiegend Männerstimmen hörte. „Life is – so wonderful“ sang sie und „… and you sing so beautiful“ kommentierte sie das auch gleich. „Wenn ich schon hier bin, muss ich wohl auch das Schwabenlied spielen“, da kam sie da sehr zum Amüsement des norddeutschen Publikums wohl nicht umhin.

Altmeisterin Anne Haigis spielte nicht nur Gitarre, sie mischte sich im Pausenhof der Ulmenhofschule auch noch selber ab.
Foto: Ludger Hintz

So rekapitulierte sie Stationen ihrer Karriere. Über einen ihrer bekanntesten Titel „Freundin“ sagte sie, sie habe sich am meisten gewundert, dass ausgerechnet dieser Song als erster in den Charts gelandet ist – und das dann noch in der ZDF-Hitparade: „Für uns Rocker war das …“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende, aber man konnte es sich denken, was sie davon hielt.

Nachdenkliches äußerte sie über ihren Entdecker Wolfgang Dauner, das sie mit dem Song „Um Dich doch zu bewahrn“ illustrierte. Mit ihrer charakteristischen, zuweilen leicht kratzigen Stimme, die nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt hat, sang sie auch Songs wie „Geheime Zeichen“ selbst auf Zuruf. Fehlen durfte natürlich auch „der beste Song, den jemand geschrieben hat“ nicht: „Waltzing Mathilda“ von Tom Waits, intonierte sie mit ausgefeiltem Gitarrenspiel.

Nachdem die Zuhörer nach eineinhalb Stunden, einer Pause und unzähligen Songs bereits musikalische Ausflüge auch in die entlegeneren Ecken ihres Schaffens erhalten hatten, schwenkte die Sängerin natürlich in der Zugabe auch auf ihre aktuelle Schaffensphase ein und gab den Titelsong von neuem Album „Carry on“ zum Besten. Auch hier galt für sie: „Wisst ihr, wie geil das ist, wenn das Publikum mitsingt?“

Zum Dank hat sie da noch mal alles aus ihrer Stimme heraus geholt. Und verabschiedete sich mit dem Bob Seger-Song „Like a rock“. Augenzwinkernder Kommentag zum Schluss: „Wir kennen uns nun schon so viele Jahre, und ihr gebt nicht auf, mich immer wieder einzukaufen – aber heute war’s am schönsten.“

Ludger Hinz