review – Erja Lyytinen

Kellinghusen – Musik aus Finnland? Ja, gibt’s denn jetzt den Winter-Blues?, war mein erster Gedanke, als ich sah, wer bei „PEP“ als nächstes spielen sollte. Nein, einen Blues im Sinne einer traurigen Gemütslage, das bietet die finnische Musikerin Erja Lyytinen (47) bestimmt nicht. Vielmehr gibt sie dem Publikum meist den Blues, den es braucht, um sich wieder aufzurichten.

So stand zum ausklingenden Sommer mal wieder saftiger Gitarrensound bei „PEP“ an – genau das Richtige, um den Herbst mit musikalischem Getöse zu begrüßen. Und mit der finnischen Blues-Röhre hat man da auch nichts falsch gemacht. Zu sehr hat sie sich mittlerweile in ihrem Genre etabliert.

Die „finnische Antwort auf den Blues und die Slide-Gitarre“ wird mittlerweile ja sogar als „Slide-Göttin“ betitelt und „elektrisierte“ schon bei ihren ersten Auftritten in Kellinghusen das Publikum, als Rainer Werdt sie damals als Newcomerin in die Störstadt holte.

Viele konnten es bei ihren bislang schon sechs Auftritten zuvor gar nicht glauben, was diese Musikerin auf der Bühne ablieferte – eine schwarzhaarige Schönheit, die sowohl akustisch als auch optisch etwas hermacht; und mit einem Selbstbewusstsein auftritt, das selbst die mächtigen Elche in Finnland vor Neid erblassen ließe.

Nicht nur, dass sie das Spiel ihrer Gitarre rein technisch gesehen filigran beherrscht – sie begeistert alleine schon mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrem dem Publikum zugewandten Auftritt nach kurzer Zeit den ganzen Saal.

Mit ihrem finnischen Akzent und einem Hauch von Nordlichtern in den Augen begrüßte sie nun nach einigen Jahren der Abstinenz das Publikum. Und die doch schon etwas längere Abwesenheit tat dem Wiedersehen anscheinend sehr gut, wurde es doch wie erwartet ein weiterer mitreißender Blues- und Rock-Abend, der vor allem auch gut besucht war. Wieder wurde die 100-Besucher-Marke geknackt.

Getragen von ihrer Band, bot die Finnin einerseits genau das, was man von ihr erwartete: guten, alten – oder eher neuen – Bluesrock aus eigener Feder, bot aber andererseits auch immer wieder überraschend Neues.

Zum Beispiel, dass sie dieses Mal zwar mit ihrer Band, aber nicht wie eigentlich gewohnt als Quartett, sondern mit dem Schlagzeuger Iiro Laitinen und Tatu Back am Bass „nur“ als Trio in Kellinghusen aufschlug.

Elektrisierte das Publikum mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrer filigranen Gitarrentechnik (von  links): Erja Lyythinen mit ihren Mitmusikern, Tatu Back am Bass und Schlagzeuger Iiro Laitinen.

Das tat ihrer Präsentation allerdings keinerlei Abbruch, im Gegenteil. Da sich die Musiker in dieser Konstellation auf das Wesentliche beschränken (mussten), wurde es ein Konzert „back to the roots“, das vor allem mit seinem ursprünglichen Sound gefallen konnte.

Dabei ragte überraschenderweise einmal mehr wie auch schon zuvor besonders Erja Lyytinens Spiel auf der Slide-Gitarre heraus und ließ das Eis zwischen ihr und dem Publikum – sofern es überhaupt da war – so schnell schmelzen, als hätte man eine finnische Sauna mitten im deutschen Winter platziert. Die finnische Kälte schien sich ihren Weg in die Herzen der Anwesenden zu bahnen, und der Blues war in der Luft, so dick wie ein finnischer Wald im Sommer.

Hatte sie schon akustisch einiges zu bieten, so konnte auch ein Blick aufs Optische äußerst lohnend sein. Da fielem dem aufmerksamen Betrachter doch vor allem die schwarzen Springerstiefel auf, die zur schwarzen Lederhose in ihrem Martial-Look schon was hermachten.

Das, kombiniert und kontrastiert durch eine geblümte Bluse und ihr wie gewohnt hoch gestecktes und zu einem Pferdeschwanz gebundenes schwarzes Haar ließen die Blues-Rock-Attitüde schon durchs Aussehen lebendig werden.

Auf ihrem schwarzen Gitarrengurt, an dem ihr Musikinstrument befestigt war, prangte der mittlerweile zur Marke gewordene Schriftzug ihres Namens in leuchtend weißen Buchstaben.

Aber auch die auf einem Gitarrenständer abgestellten Instrumente, das mit Schalldämmung ausgestattete Schlagzeug und die Backline der Verleih-Firma mit dem Schriftzug „Gate to hell.net“ (Slogan im Internet: „Backline from heaven“) machte dieses Konzert auch zu einem sinnlichen Erlebnis, fast im Blues-Retro-Style. Von der Hölle in den Himmel mit einer Verstärkerbox – das muss man auch erst mal schaffen.

Zur Marke geworden: Erja Lyytinen-Gitarrenriemen, Stiefel für Technik und Lautsprecherbox von „Gate to hell.net“.

Da wurde es so manchem heiß, und das nicht nur durch die sich ausbreitende Wärme im Saal. Da musste selbst der örtliche Wetterbericht bestätigen, dass die Temperatur im Kulturverein „PEP“ in dieser Nacht um ein paar Grad gestiegen war.

Auch hier spielt der Faktor Zeit wieder eine tragende Rolle. Mittlerweile hat sich Erja Lyytinen vom Newcomerstatus, in dem zu zuerst in der Störstadt aufgetreten war – zu einer gereiften und begehrten Musikerin im modernen Blues-Rock-Genre entwickelt. So sind es doch auch schon fast unglaubliche 20 Jahre, in denen die ambitionierte Musikerin fast jährlich ein Album veröffentlichte. Für den regelmäßigen „PEP-Besucher fast eine unmerklich vergangene Zeitspanne.

Die Gewinnerin des „European Blues Awards“ hat mit ihrem jüngsten Tonträger mit dem Titel „Waiting for the Daylight“ das Motto für den Herbst geliefert. Damit hat sie im ersten Halbjahr 2022 ihr mittlerweile 12. Studioalbum heraus gebracht; und kurze Zeit nach dem Konzert in Kellinghusen erscheint auch schon Ende Oktober 2023 ihr neues Live-Album mit dem vielsagenden Titel „Diamonds on the road“.

Zum 7. Mal seit 2011 in Kellinghusen, ist sie auch schon fast zum Stammgast geworden. In diesem Jahr hat sie erste Konzerte schon mit ihrem neuen Material gespielt, das als Live-Album erscheinen soll. Und das sie nun auch in Teilen in Kellinghusen vorgestellt hat.

„PEP“-Organistor Rainer Werdt hat noch zusätzlich darauf hingewiesen, dass sich Lyytinen gerade auf ihrer 20 Jahre-Jubiläumstour befindet, die sie als Trio mit dem Schlagzeuger Iiro Laitinen und Tatu Back am Bass bestreitet.

In der Ulmenhofschuhle gab es nun auch keine großen Irritationen mehr: Location und Gastgeber bekannt, neue Songs auf der kleinen Tour perfomt, präsentierte sie sich mit ihren Mitmusikern eingespielt. Und lieferte, als ob sie von einem finnischen Elch getrieben würde…

Die finnische Blues-Musikerin, die auch schon mit Größen wie Carlos Santana spielte, wurde zuvor im „Guitar Player Magazine“ (US) als eine der „10 Gitarristen, die den Blues für eine neue Generation von Spielern am Leben halten“ ausgewählt. Und die Künstlerin wurde auch in die renommierte finnische „Hall of Fame“ aufgenommen.

Andererseits tat sie nun bei diesem Konzert eines nicht, das sie bei ihren Vorgänger-Auftritten immer mal wieder in die Performance einstreute: mit der Gitarre einen Ausflug durchs Publikum zu machen. Das sparte sie sich dieses Mal auf.

„elektrisierte“ schon bei ihren ersten Auftritten in Kellinghusen das Publikum: Vom Publikum weithin beklatsche, ragte Erja Lyytinen wie gewohnt mit ihrem filigranen Spiel der Slide-Gitarre mit ihren Mitmusikern heraus.

„elektrisierte“ schon bei ihren ersten Auftritten in Kellinghusen das Publikum: Vom Publikum weithin beklatsche, ragte Erja Lyytinen wie gewohnt mit ihrem filigranen Spiel der Slide-Gitarre mit ihren Mitmusikern heraus.

Bei ihrem letzten Auftritt in Kellinghusen nahm sie für ihr Slide-Guitar-Spiel sogar eine Bierflasche in die Hand und ließ den Flaschenhals über die Saiten gleiten. Wer darauf wartete, wartete dieses Mal leider vergebens. Dafür konzentrierte sie sich umso mehr auf ihr Spiel, das sie nahezu fehlerfrei vortrug.

Aber mit ihren Blues-Rock-Songs á la „You talk dirty“ oder „Wedding Day“ stellte sie das Publikum auch so mit ihrem Programm zufrieden. Bei Jimi Hendrix‘ „Crosstown Traffic“ war auch ein Wiedererkennungswert vorhanden. Bei Erja’s Reminiscence to Jazz inklusive „Tequila“ konnten die Zuhörer sogar mitsingen: „Tequila!“

Als Reminiszenz an frühere Vorträge direkt im Publikum stellte sie sich immerhin beim ein oder anderen Solo immerhin direkt vor die ersten Stuhlreihen. Somit konnte sie den „finnischen Winter-Blues“, der sich auf die Stimmung schlägt, immerhin in einen deutschen Herbst-Blues verwandeln, der die Stimmung wieder hob.

Ludger Hinz